„Kunst hat Rhythmus“

Ein Gespräch mit der Künstlerin Brigitta Würsch

Text: Craita Giorgia Seeholzer und Louis Fedier


Kurzbiographie Brigitta Würsch

Brigitta Würsch wurde 1966 in Emmetten/NW geboren und wuchs in ländlichen Verhältnissen auf. Mit Kunst kam sie damals nur sehr wenig in Kontakt. Dennoch begann sie schon früh, aus Spass zu modellieren. Nach dem Abschluss der kaufmännischen Lehre, beschloss sie, sich mehr auf ihr stetig wachsendes Interesse am Kunstschaffen zu konzentrieren. Mit dem Besuch mehrerer Seminare an der Kunstgewerbeschule Zürich (1993-96 „Klassische Bildhauerei“; 1999 Kunstgeschichte) und der Bildhauerschule in Müllheim (1995) erweiterte sie Ihren künstlerischen Horizont und versuchte ihr eigenes Schaffen für sich zu definieren. 2004 stellte sie in der Turbine Giswil/OW ihre Werke erstmals als Teil einer Ausstellung aus und absolvierte von 2005 bis 2007 noch den Kurs MAS Digital Media an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern. Seither stellte sie nicht nur in der Schweiz (Stans, Luzern, Basel), sondern auch im Ausland aus, unter anderem an der Transmediale Berlin (2009), dem Féstival NEMO in Paris (2009) und dem Athens Digital Arts Festival in Athen (2015). Brigitta Würsch lebt und arbeitet zurzeit in Luzern. Nebst ihrer künstlerischen Tätigkeit arbeitet sie zwei Tage die Woche als Buchhalterin.

 

  • Brigitta, wie bist du Künstlerin geworden?

Also ich habe eine klassische kaufmännische Lehre am KV gemacht. Da ich auf dem Land aufwuchs, bin ich mit Kunst sehr wenig in Berührung gekommen, habe aber früh schon begonnen, zu modellieren. Irgendwann wurde die Wohnung dann zu klein für all meine Werke. Da hörte ich von einem Gemeinschaftsatelier, in dem 9 Künstler arbeiteten und ging zum Vorstellungsgespräch. Ich wurde gefragt: „Welche Art von Kunst machst du?“ – Da musste ich zuerst mal leer schlucken, weil ich es selbst nicht wusste. Ich habe gesagt: „Ich weiss es nicht, ich mache einfach“. Ich wusste ja damals nicht einmal, ob das, was ich mache überhaupt Kunst ist. Es ging mehr darum, mal einen Raum zu haben, um auszuprobieren, ob überhaupt etwas entsteht.

 

  • Du musstest also auch für dich selbst zuerst herausfinden, ob dein Schaffen Kunst ist?

Genau, ich musste zuerst herausfinden, ob ich überhaupt in der Lage bin, Kunst zu schaffen und was Kunst bedeuten kann.

 

  • Also gab es keinen Schlüsselmoment, in dem dein Interesse für Kunst geweckt wurde?

Nein, einen spezifischen Moment gab es nicht. Ich habe nur gefühlt, dass KV nicht alles ist, nicht alles sein kann. KV und Kunst ergänzen sich aber sehr gut.

 

  • Hast du eine Definition für dich, was Kunst ist?

Da finde ich wirklich Beuys’ Definition am besten: „Alles ist Kunst!“. Kunst ist alles was uns umgibt, alles was Menschen schaffen und prägen (erweiterter Kunstbegriff nach Joseph Beuys, Kunst und Emotion – Präsentation Projektarbeit 15 Anm. d. A.). Aus dem heraus entwickle ich Produkte und Ideen, die ich dann umzusetzen versuche.

 

  • Wenn alles Kunst ist, wieso braucht es Künstler?

Alles ist Kunst, aber ein Kunstwerk ist etwas Anderes. Das ist dann von einem Künstler gemacht, der etwas herausfiltert. Man kreiert Sachen aus dem, was vorhanden ist. Dann entsteht ein Werk. Ein Kunstwerk.

 

  • Also das Kunstwerk eines Künstlers als Essenz der Kunst der Menschheit insgesamt?

Ja, aber welche Art von Kunst entsteht, musste ich noch lernen, realisieren und definieren. Wie ich Kunst mache, welche Aussagen ich damit machen könnte, alles das musste ich zuerst noch herausfinden. Ob da überhaupt etwas herauskommt. Deswegen konnte ich ja damals auch nicht beantworten, welche Art von Kunst ich mache.

 

  • Wenn ich dich jetzt, viele Jahre nach dem „Bewerbungsgespräch“ fragen würde, welche Art von Kunst du machst?

Ich mache „Alles ist Kunst“. (lacht) Ich gehe als Künstlerin durch die Welt und dann entwickelt man einen eigenen Blick, man wird auf Dinge aufmerksam. Man überprüft, geht ins Atelier und schaut ob eine Idee Gestalt annimmt. Ich bin eine Pröblerin. Je nach dem geht der Weg dann weiter oder auch nicht.

 

  • Für dich ist offenbar sehr wichtig, dass du dich durch die Welt inspirieren lässt.Gibt es denn auch Kunst aus dem Atelier, aus dem Nichts?

Inspirieren ist vielleicht das falsche Wort, ich würde eher sagen, dass alles, was prägt das kreative Schaffen beeinflusst. Und geprägt wird man immer. Man wird als Künstlerin hellhörig auf Sachen und nimmt visuell die Umgebung, zum Beispiel Farben, anders wahr. Man kann dann damit auch nicht mehr aufhören. Auch wenn man einmal aufhört, Kunst zu machen, diese Wahrnehmung gibt man nie mehr auf.

 

  • Was für eine Rolle spielen Emotionen bei deinen Werken?

Es gibt einen bewussten Teil, der mit den Emotionen arbeitet, wie zum Beispiel in der Videoinstallation „Blaupause: Shangri-la“. Da war ich mir nicht sicher, ob die von mir beabsichtigte Emotion, in diesem Fall wäre das Ruhe, beim Betrachter ankommen würde. Generell bin ich aber lieber auf der intuitiven Seite des Schaffens. Du kannst es erst dann erfassen, wenn es auch ausgestellt ist. Du merkst erst dann, ob Emotionen geweckt werden oder nicht. Ich gehe mit einer Ahnung an die Arbeit, aber das Ergebnis sehe ich erst wenn es ausgestellt ist. Diese Dimension sieht man im Atelier nicht. Ob das Werk Emotionen weckt kann man noch nicht sagen.

 

  • Ist das kein Ziel für dich, Emotionen beim Betrachter zu wecken?

Nein, Emotionen zu erwecken ist kein Ziel. Beim Schaffen interessieren mich die Emotionen nicht, aber du hast als Künstler ein Gefühl dafür, ob das Kunstwerk funktioniert. Ob es beim Besucher Emotionen auslöst interessiert mich herzlich wenig beim Machen. Ich gehe da nur auf meine Emotionen ein.

 

  • In diesem Fall teilst du nicht die Kunstauffassung von Leo Tolstoi, gemäss welcher Kunst nur dann funktioniert, wenn Emotionen beim Betrachter hervorgerufen werden?

Nein, wie bereits gesagt, die möglichen Emotionen des Betrachters sind mir im Schaffensprozess relativ egal. Ich denke nicht an sie. Ich denke mir nicht „Der Betrachter muss beim Betrachten dieses Werkes ganz traurig werden.“. So läuft es nicht.

 

  • Was empfindest du dann während des Schaffens? Welche Emotionen empfindest du?

Ich habe mir als Vorbereitung auf dieses Interview überlegt, was Emotion eigentlich ist. Es gibt eine feste Materie und um diese wahrzunehmen, braucht man Emotion. Wenn ich einen Tisch anfasse, spüre ich etwas, vielleicht empfinde ich eine schöne Oberfläche, aber das ist eine andere Emotion. Man kann die Emotionen nicht definieren. Wenn man eine abschliessende Definition davon hätte, dann wäre die Emotion tot. Gerade bei Installationen stellt man einfach mal etwas zusammen und es entsteht eine Ahnung, aber das Ganze ist noch nicht zu erfassen, der einzelne Bestandteil weckt keine Emotion. Ich habe ein Gefühl aber weiss selber noch nicht ob und wenn ja, was entstehen wird.

 

  • Der Künstler reagiert also auf etwas von aussen und schafft dann daraus das Werk.Ist der Künstler vielleicht ein Werkzeug einer höheren Macht, der Natur oder einer esoterischen Form der Inspiration?

Das wäre schon ziemlich esoterisch, ich hätte nicht gern, wenn ich als Werkzeug benutzt würde. Es ist eher wie wenn zwei Menschen Liebe machen. Es ist Materie, es entstehen unterschiedliche Emotionen und dann kommt ein Höhepunkt, daraus kann dann etwas Neues, z.B. das Leben entstehen. Es braucht Materie damit Emotionen entstehen, Materie ist überall, ist unsere Welt. Wenn ich schaffe kann da ein Glücksgefühl sein aber bin nicht immer überschwärmt von Emotionen, das wäre ja grauenhaft. Man muss strukturiert schaffen, aber man geht nicht immer gezielt vor. Gerade bei der Arbeit mit Video ist strukturiertes Arbeiten enorm wichtig, aber auch dort habe ich nicht von Anfang ein genaues Ziel vor Augen.

 

  • Hast du eine persönliche Beziehung zu deinem Werk? Ist dein Werk wie ein Kind für dich?

Ja, mehr oder weniger. Aber nicht immer gleich viel. Es kommt auch darauf an ob man zu früh mit dem Werk „raus“ geht und der Prozess des Schaffens noch nicht fertig ist. Man ist verletzlicher auf Kritik, wenn zu früh ausgestellt wird. Es braucht eine Zeit für das Loslassen, um wieder etwas Neues zu beginnen. Wenn man dann aber losgelassen hat, kann der Betrachter damit machen was er will.

 

  • Woran erkennst du, dass ein Werk „funktioniert“? Vielleicht wenn es vom Betrachter als schön, hässlich oder speziell empfunden wird?

Gerade bei zusammengesetzten Werken aus mehreren Teilen (wie z.B. „Shangri-la & sangria“, Anm. d. A.) spielt Komposition eine wichtige Rolle. Harmonie oder auch Disharmonie kann dazu beitragen dass dann das Ganze funktioniert. Ich lasse die Wirkung meiner Werke durch andere Personen überprüfen. Nach der Überprüfung kann ich immer noch entscheiden ob ich das Werk so lasse wie ich es für richtig halte, oder noch eine Änderung mache.

 

  • Möchtest du dich mit deinen Kunstwerken verewigen?

(lacht) Nein, sicher nicht. Ich arbeite zum Beispiel mit Färberpflanzen, Granatäpfeln und Blutorangen. Die unterschiedlichen Pigmentierungen geben zusammen einen speziellen Gesamteindruck, aber während die grün-braunen Pigmente der Färberpflanzen lange erhalten bleiben, löst sich das Rot der Granatäpfel mit der Zeit auf. Der ursprüngliche Gesamteindruck vergeht also irgendwann und das Blatt wird wieder nahezu weiss, also hat das durchaus auch etwas von Vergänglichkeit. Die Lebensdauer eines solches Werkes ist somit mehr oder weniger zufällig.

 

  • Wenn wir schon beim Zufall sind: Kern deiner Installation „... und doch will ich hoch fliegen“ ist ein auf dem Kopf stehendes Landschaftsbild. Ist dieses Bild per Zufall entstanden?

Ja und nein. Ich ging mit dem festen Vorsatz, dieses Bild aufzunehmen dorthin, aber dass es eine Installation werden würde, entschied ich erst im Atelier. Erst dort habe ich erkannt, dass im Bild ein Trugschluss enthalten ist. Wenn man das Bild verkehrt herum aufhängt, scheint da eine Spiegelung zu sein, obwohl es eigentlich gar keine gibt. Ich wollte das Foto und entdeckte im Atelier, dass sich daraus eine Installation entwickeln könnte.

 

  • Platon steht der Kunst sehr kritisch gegenüber. Er glaubt, die rationale, erstrebenswerte Hälfte der Seele werde beim „Genuss“ von Kunst durch die emotionale, unkontrollierbare, zufällige Seelenhälfte unterdrückt. Was hältst du davon?

Müssen wir rational sein? Was bringt die Rationalität? Klar ist Kunst manchmal eine Ablenkung von der Rationalität. Aber vielleicht entsteht daraus ja noch etwas Anderes als Ablenkung. Ich denke mit seiner Definition von Kunst ist Platon völlig im Unrecht. In einer nur rationalen Welt möchte ich nicht leben.

 

  • Apropos Unrecht: Wie gehst du mit Kritik um?

Nicht jeder kann ein Kunstwerk verstehen. Mein Vater zum Beispiel ist bei meiner ersten Ausstellung 2004 in der Turbine Giswil davongelaufen. Er hat es nicht verstanden. Man braucht eine bestimmte Erkenntnis. Das Erkennen ist aber kein Zufall. Man muss einfach offen und neugierig sein.

 

  • Gibt es Werke, die du aus emotionalen Gründen nicht verkaufst?

Ja es gibt so ein Werk. Es ist ein Bild, eine Nachtfotografie. Ich kann es zeigen (sie zeigt das Bild, aus der Serie „Caprichos – Lob des Schattens“).

 

  • Und warum würdest du ausgerechnet dieses Bild nicht verkaufen?

Es ist mit vielen Emotionen verbunden. Ich finde, bei diesem Foto stimmt einfach alles. Es hat irgendwas, das man nicht beschreiben kann.

 

  • Was denken deine Bekannte, Verwandte und Freunde über deine Kunst?

Die nehmen mich sehr ernst. Niemand läuft mehr davon. Auch mein Vater hat später probiert, zu verstehen, aber es wäre ihm schon lieber gewesen, wenn ich andere Kunst gemacht hätte.

 

  • Vielleicht hätte er sich „ästhetischere“ Kunst gewünscht?

Was ist Ästhetik? Es geht nicht um Schönheit! Es gibt ja auch unschöne Ästhetik! Wörter engen einen so ein und stehen damit im Gegensatz zu der bereits erwähnten Offenheit, die ja bei der Kunst so wichtig ist. Es ist wirklich schwierig, Kunst zu beurteilen, aber vielleicht kann man das so umschreiben: egal ob Kunst harmonisch oder disharmonisch ist, sie hat Rhythmus. Vielleicht kann man das so sagen: Kunst hat Rhythmus.

 

Interview vom 22.04.2016

Craita-Giorgia Seeholzer und Louis Fedier

 


Info:

Das Interview wurde aufgenommen im Rahmen des Projekts: "Kunst und Emotion" unter der Leitung von Dr. Lisa Katharin Schmalzried, Frühling 2016, Universität Luzern.

Über das Projekt:"In dem Projekt „Kunst und Emotion“ lesen die Studierenden einige klassische philosophische Texte zu dem Thema „Kunst und Emotion“ und diskutierten diese gemeinsam. Hierdurch bekamen sie philosophische Impulse für ihre Projektarbeit"

 

Das ganze Dossier kann hier gelesen werden:

www.kunst-forum.ch/Kunst_Emotion

 

Mehr Bilder und Arbeiten von Brigitta Würsch finden Sie hier:

www.kunst-forum.ch/brigitta-wuersch

 

Über das Projekt der Uni-Luzern "Kunst Forum" :

 

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